Das relative Selbstwertgefühl
Und wir vergleichen nun das Ergebnis aus der Beobachtung anderer mit unserer Selbsteinschätzung. Dabei entsteht ein relatives Selbstwertgefühl gegenüber den anderen in Form von Minder- oder Überlegenheitsgefühlen, je nachdem, ob andere bessere Leistungen erzielt haben als wir oder schlechtere.
Damit es nicht viele sind, gegenüber denen sich Unterlegenheitsgefühle ausbreiten, polieren wir gerne das eigene Selbstwertgefühl dadurch auf, dass wir andere kleinreden. (vergl. Stahlberg, Osnabruegge, Frey 1985).
"Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders und den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?" Matthäus 7.3.
So achten wir von Natur aus besonders genau auf Fehler anderer. Denn wenn andere Fehler machen, sind sie schlechter als wir, was zu dem Umkehrschluss führt: Ich bin zwar nicht Superman, aber besser als die anderen! (Pharisäersyndrom). Und es erfüllt uns manchmal nicht nur mit klammheimlicher, sondern mit unverhohlener Freude, wenn anderen ein Missgeschick zustößt.
Fehler und mindere Leistungen anderer werden daher
... erfreut zur Kenntnis genommen:
"Das gönne ich diesem Großmaul!"
... als Symptom der Unterlegenheit des andern gedeutet:
"Er ist einfach zu dumm!"
... aufgebauscht:
"Das war ein besonders schlimmer Fehler!"
... aus dem Bereich eigener Möglichkeiten gerückt:
"Das wäre mir nie passiert!"
... als Dauerzustand gedeutet:
"Er kann es einfach nicht besser und er wird es nie lernen!"
... als Beweis für den Regelfall bewertet:
"Fügt sich nahtlos in die Kette seiner Fehler ein!"
... relativiert: Wenn wir ein direktes Duell verlieren, kommt schnell als Erklärung: "Ich habe mich ja nicht richtig angestrengt." Oder auch: "Ich bin im Moment leicht verletzt und konnte daher nicht voll spielen." Alles wird versucht, den Erfolg des Gegners zu relativieren und kleiner erscheinen zu lassen.
... bezweifelt und in Frage gestellt: "Das muss sich erst noch herausstellen, ob dieser Vorschlag wirklich so gut ist, wie einige nun meinen!"
... so dargestellt, als habe man selbst den größeren Teil an der Leistung. "Wenn ich ihn nicht auf ... aufmerksam gemacht hätte, dann wäre er nie zu dieser Leistung fähig gewesen." Der Erfolg hat in Unternehmen, Vereinen, Parteien viele Väter!
... kleingeredet: "Das ist doch nichts Besonderes. Das hätte jeder gekonnt!"
... in den Bereich eigener Möglichkeiten gerückt: "Das hätte ich auch - und noch besser - gekonnt."
... den günstigen Umständen zugesprochen: "Er hat einfach nur Glück gehabt."
Je weniger sicher wir uns des eigenen absoluten Selbstwertes und unserer eigenen Fähigkeiten sind, umso stärker sind in der Regel die Bestrebungen, (wenigstens) den relativen eigenen Selbstwert auf Kosten anderer Menschen zu steigern. Diese Verhaltensweisen sind umso heftiger, je geringer das Selbstwertgefühl und das wirkliche innere Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten ausgeprägt sind, wirkliche eigene Erfolgserlebnisse also seltener sind, und je stärker der - wie wir gesehen haben - schon von Natur aus übersteigerte Geltungstrieb im Sozialisationsprozess noch weiter gefördert wurde. Auch die Nachmittagstalkshows, in denen sich Menschen vorführen lassen werden immer gute Quoten haben. Denn sie beweisen: Ich bin ja schon nicht Superman, aber Gott sei Dank nicht so schlecht wie die da!